Schwarzbuch WDR

Schwarzbuch des WDR

2019

Das egerkind

Das egerkind

Seit meiner Jugend hat sich im Lande viel verändert. Außer der Mode, der Technik und dem Rauchen hat sich auch in der Sprache viel getan.

Es gibt Worte, die darf man z. B. nicht mehr gebrauchen.

In meiner kurzen Geschichte versuche ich mich an die neuen Regeln zu halten.

In meiner Jugend wurde gerne die Geschichte vom egerjungen erzählt.

Es gab die Mutti und den Vati. Die waren eigentlich ganz zufrieden miteinander.

Aber wie das Leben eben so spielt, konnte die Mutti das Naschen nicht lassen.

Der Vati kam dahinter und es gab ein riesen Theater.

Aber irgend wann vertrug man sich wieder und war lieb zueinander.

Jedoch der Fehltritt blieb nicht ohne Folgen.

Es wurde ein Junge geboren.

Und der leibliche Vater war kein Arier.

Und so sah auch der Kleine aus.

Und so sehr der Ehemann auch seiner Ehefrau verzieh, jedesmal wenn er den Kleinen auf den Arm nahm, war er erinnert.

Der Kleine war ein egerjunge.

Und genau so einer bin ich auch.

Wenn ich durch das Haus oder das Dorf laufe, sehen die Leute mich und sind an ihre Fehltritte erinnert.

Und ich kann allen Leuten mit reinem Herzen mitteilen:

Ich bin gerne der egerjunge.

Es macht mir einen höllischen Spaß, live mit an zu sehen wie wahlweise der Bürgermeister, die Buchhändlerin, die Verkäufer im Baumarkt oder die Mitbewohner so tun als ob.

Alle möchten ihr Fehlverhalten vergessen. Aber wenn man jeden Tag aufs neue erinnert ist, geht das nicht.

Bis zum Hassen aufs Blut ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Was geschied mit jemandem, dem auf einmal klar wird, dass er seit seiner Geburt belogen wurde.

Zuerst kommt die Enttäuschung.

Dann erfolgt die Reaktion.

Was dann genau passiert ist, habe ich vor rund 10 Jahren in die Mikros in unserer Wohnung geflüstert.

Euer egerkind

Wolfgang Krapohl

Wolfgang Krapohl.

Wolfgang Krapohl
Konrad-Adenauer-Str. 4
50374 Erftstadt

krapohl.wolfgang@gmx.de
tel 02235 9297991